Bericht zur Israelreise 7.-17. Juni 2022


Bericht zur Israelreise 7.-17. Juni 2022
Veranstalter: EBW Münchberg

Die Reise mit insgesamt 26 Personen im Alter zwischen 15 Jahren und 69 Jahren führte vorwiegend in den Süden Israels, in den Negev. Dieses Wagnis, die traditionellen touristischen Orte im Norden Israels nicht zu berücksichtigen, war möglich, weil ca. die Hälfte der Reisenden vor 5 Jahren eben dort im Norden das Land erkundete.


Die Wüste

a) Wüste und Religion

Schwerpunkt dieser Reise sollte die Erfahrung der Wüste sein, zum einen als Ort der ersten Liebe Gottes zu seinem Volk, als Ort, an den das Volk oder einzelne zurückkehrten, wenn sie diese erste Liebe wieder auffrischten, so u.a. auch Jesus (Mt 4). Meditationen aus dem Buch von Georg Rößler zu den drei Themen: „Der eifernde Gott“, „Der werbende Gott“ und „Der persönliche Gott“ begleiteten die Gruppe auf den Wüstenwanderungen.


b) Wüste und Nachbarschaft: Das Gaza-Dilemma

Zur Erfahrung der Wüste gehören selbstredend auch andere Bereiche. In der Nacht erreichen wir das Quartier in Ze’elim, ca. 20-30km entfernt von der Grenze zum Gazastreifen. Der erste Tag führt uns dann direkt an die Grenze zwischen Ägypten, Gaza und Israel. Der aus Argentinien eingewanderte Dario Teitelbaum zeigt der Gruppe in Kerem Schalom eine Schule, in der auch bei Raketenangriffen aus Gaza weiter unterrichtet werden kann, da die israelische Regierung dafür Sorge trägt, dass die Schule so gebaut ist, zumindest den Kassam-Raketen standzuhalten. Nein, es ist nicht schön, aber Dario sagt, dass auf israelischer Seite Kinder wenigstens Schutz erhalten, einen Steinwurf weiter haben die Kinder keinen Schutz. Dort an der Grenze ist der Rückzug der Israelis vom Sinai in den achtziger Jahren unter Menachem Begin und Sadat ebenso Thema wie der Rückzug aus Gaza im Jahr 2005. Damals in den achtziger Jahren wollte Ägypten aus gutem Grunde den Gazastreifen nicht; als Israel die jüdischen Siedler aus Gaza entfernte, wollte man die landwirtschaftlichen Gewächshäuser etc. stehen lassen. Von palästinensischer Seite wurden sie zerstört, um damit einen Sieg über Israel zu feiern. Bevor wir uns mit der Grenzsituation befassen, zeigt Dario uns die Reste einer Synagoge mit Mosaikfußboden als Hinweis darauf, dass es in dieser Gegend jüdisches Leben gegeben hat.


c) Wüste und Landwirtschaft

Ein weiterer wichtiger Aspekt unserer Reise war in der Wüste kennenzulernen, wie Israel diese trotz aller ungünstigen klimatischen Bedingungen für Landwirtschaft nutzt. Der Weg führt in den Moshav Talmei Yosef, zu dem salad trail. Uri Alon führt uns auf dem salad trail. In „greenhouses“ wachsen Tomaten, insbesondere Cherry-Tomaten, aber auch anderes Gemüse wird angebaut. Die Besonderheit: in einer Art Dachrinnen werden Erdbeeren, Kohlrabi, andere Kohlarten auf einer Art Kokos-Substrat angebaut. Diese „Dachrinnen“ sind auf Kopfhöhe installiert, so dass Ernte nicht im Bücken geschehen muss. Beeindruckend war die Führung einer Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt direkt neben dem Sonnenkraftwerk Ashkalim. Elisha Zurgil führte uns durch die dortige Pflanzenwelt und referierte, dass Wasser in verschiedener Weise verwendet wird: Brauchwasser, Salzwasser und Grundwasser durch Bohrungen. Jeder Dattelbaum beispielsweise erhält einen Computer, der mitteilt, wieviel Wasser dieser braucht bzw. regelt die Wasserzufuhr digital.

Im Weingut Yatir nahe der Stadt Arad wurden wir Zeugen davon, dass in der Wüste sehr guter Wein angebaut werden kann. Die Besitzerin des Weinguts führte uns durch ein kleines Sortiment der dort angebauten Weine, stand mit ihrem Weinwissen Rede und Antwort und erläuterte, warum es für ein säkulares Weingut wie das ihre wichtig ist, den Koscher-Stempel des Rabbinats zu erhalten.

d) Wüste und Beduinen

In die Spannung zwischen solcher Moderne einerseits und Traditionsbindung andererseits führte
uns der Besuch in die Beduinenstädte Rahat und Hura. Dort berichten uns arabische Beduinen
von der Schwierigkeit und der Herausforderung dieses Transformationsprozesses. Jamal
Alkirnawi, ein Sozialarbeiter, erzählt von einem Projekt mit Jugendlichen, diese bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Die ältere Generation versteht nicht, warum das sein soll. Die Aufgaben, Ziegen hüten etc. sind weggefallen, so dass für die Jugendlichen eine Leestelle bleibt. Das Projekt „A new dawn in the Negev“ versucht hier Abhilfe zu schaffen eben mit Hausaufgabenbetreuung und anderen Aktivitäten mit den Jugendlichen. Dr. Riad, Psychologe, der in Marburg studierte, führt uns durch ein
Selbsthilfeprojekt von Beduinen in Hura. Er berichtet von zahllosen Problemen mit den staatlichen Behörden. So haben Beduinen ein anderes Verständnis von Boden und Eigentum. Wo sie sind, das gehört ihnen, dort bauen sie. Regelmäßig werden diese „illegalen“ Bauten dann von behördlicher Seite abgerissen. In diesem Konflikt spiegeln sich auch die Probleme zwischen jüdischen und arabischen Israelis. Eine andere Minderheit besuchen wir in Yeruham auf dem Weg nach Arad. Shula Amar hat mit
Frauen aus Marokko, die vor vielen Jahren eingewandert sind, ein Frauenprojekt ins Leben gerufen. Shula Amar hat gesehen, dass der Ort einen Raum braucht, wo Menschen zusammenkommen können. Mit den anderen marokkanischen Frauen fängt sie an zu kochen, die Leute kommen und genießen das Essen (auch unsere Gruppe).


e) Wüste und Natur

Ein fünfter Aspekt waren in der Wüste die Wanderungen. Abgesehen von wunderbarer Landschaft (En Avdat, Krater von Mizpe Ramon, Wadi Keltvon der Keltquelle bis zum St. Georgskloster), Tier- und Pflanzenwelt, geologischen Erklärungen durch die israelische Reiseleitung ElisabethLevy waren hier jene bereits angesprochenen Texte Begleiter sowie eine biblische Verssammlung zum Thema Wasser. Jede/r hat an verschiedenen Orten einzelne Verse mit der Thematik „Wasser“ vorgelesen. In der Wüste wurde überdeutlich, was Wasser für ein Lebensquell ist und zugleich, welche Gefahr davon ausgehen kann.

Der Staat Israel

Auf der Fahrt von der Wüste Richtung Jerusalem streifen wir Sde Boker, wo der langjährige Premierminister Israels David Ben Gurion lebte, lernen dort anhand von Kurzfilmen den Weg zur Staatsgründung, die Rolle Ben Gurions, diskutieren an diesem Ort das Verhältnis zur arabischen Bevölkerung und nehmen Fäden aus der bisherigen Reise auf. So besuchten wir am zweiten Tag den Kibbuz Urim, ganz nahe von Ze’elim.

In Urim waren 1960 die ersten Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste. Sie stießen auf erhebliche Abwehr der dortigen Bevölkerung. Man beobachtete, ob sie für Landwirtschaft überhaupt tauglich waren. Als sie diese „Prüfung“ bestanden, nicht zuletzt aufgrund von persönlichen Beziehungen zwischen Leitenden von Aktion Sühnezeichen und Bewohnern von Urim, entwickelte sich ein gutes Verhältnis, ein Kennenlernen und Abtasten. Schließlich war das der Anfang nicht nur von regelmäßigen
Freiwilligendiensten bis heute, sondern war auch ein wichtiger Stein für die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland Mitte der 60er Jahre. Zwei ehemalige Freiwillige waren bei der Studienreise dabei. Die Staatsgründung ist dann noch einmal Thema in Jerusalem beim Besuch des Herzl-Museums mit seiner sehr ansprechenden Museumspädagogik.

Nicht die Staatsgründung, sondern der Staat Israel und insbesondere seine Wirtschaft ist Thema beim Vortrag von Grisha Alroi-Arloser in der deutschen Außenhandelsvertretung der Industrie- und Handelskammer in Tel Aviv. Dieser hervorragende Vortrag hat auf charmante Weise einige Vorurteile
zurechtgerückt, deutlich gemacht, welche wichtige Rolle Israel in der Informationstechnologie einnimmt und Israel als das Land der Innovativen, Flexiblen und derer herausgestellt, bei denen Scheitern kein Makel ist, sondern Grund, es von Neuem auszuprobieren.


Christlich-jüdischer Dialog

Religion: Die Gruppe nimmt an Kabbalat Schabbat in einer kleinen liberalen Gemeinde in Mizpe Ramon teil. Die Vorsitzende Shoshana Dann gibt eine kurze Einführung zu dem Gottesdienst und in die Gemeinde: „Beit Elisheva is a community that prays together on Shabbat and Chagim, honoring tradition and Jewish values. Our services are egalitarian and open to the entire population of Mitzpe Ramon and its region.”
Unabhängig von dem, was die einzelnen davon verstehen, ist es auch Ziel der Reise, in Israel den
Rhythmus der Woche zu erleben, und da steht Freitagabend eben der Beginn des Schabbat. Am
Sonntag feiern wir unter freiem Himmel einen Gottesdienst zum christlichen Fest Trinitatis,
Herausforderung im Kontext der Reise, hier besonders darauf zu sehen, dass Dreieinigkeit der
Versuch ist, die Einheit des einen Gottes zu denken. In Jerusalem treffen wir auf Tamar Awraham, einer Jüdin, die versucht halachisch zu leben und sich zugleich als Feministin versteht.
Wichtig für die Teilnehmenden war, zu sehen, dass es auch innerhalb der jüdischen Orthodoxie
sehr unterschiedliche Strömungen gibt, dass orthodoxes Judentum eben nicht gleichzusetzen
ist mit ultraorthodoxem Judentum in Mea Shearim. Frau Awraham war lebendiges Beispiel für
eine moderne Frau, die sich der jüdischen Neo-Orthodoxie zurechnet, die talmudische Texte zur
rolle der Frau in Konkurrenz zu herkömmlichen Auslegungen liest und versteht.


Arabisch-christliches Projekt: Sternberg

Zu der Reise gehört ein Abstecher in die palästinensischen Gebiete, bei dieser Reise führt der Weg nach Ramallah und dort zum Sternberg. Dort unterhält die Herrnhuter Mission eine Einrichtung für Kinder, Jugendliche und Menschen mit Handicap. Von Kindergarten bis zur Berufsschule findet sich dort alles. Ranya Karam, die Direktorin, führte uns zusammen mit dem Sozialarbeiter und einer deutschen freiwilligen über das Gelände, zeigte uns die Räumlichkeiten, dankte sehr dafür, dass wir den Besuch bei ihnen mit eingeplant haben und verwies auf die politischen Schwierigkeiten sowohl innerhalb Palästinas, aber auch auf den dauernden Konflikt mit Israel. So hängt z.B. eine Erlaubnis
in das nur wenige Kilometer entfernte Jerusalem zu fahren vielfach von der Willkür der Behörden ab.


Schluss:

Für alle Beteiligten setzt mit der Erfahrung dieser Riese ein Lernprozess ein: das Land Israel mit
anderen Augen zu sehen als das vielfach von Europa aus gesehen wird: eben in der Vielfalt und
in der Komplexität. In Israel ist nichts einfach. In der Wüste ist es heiß, die Wege verlangen
körperlich einiges ab, die Menschen passen nicht in das gezimmerte Schema, Religion ist ein
großes Thema und zugleich auch gar nicht, die christlichen Konfessionen sind auf einmal viel
umfassender als wir das aus Deutschland kennen, jüdische Orthodoxie ist genauso wenig
monolithisch wie Judentum überhaupt, im Islam verhält es sich ebenso. Eine Lösung der
politischen Konflikte ist wünschenswert, aber eben auch wesentlich komplizierter als dies oft
gedacht wird. Elisabeth Levy verabschiedete uns mit der Bitte, in Deutschland Botschafter dieses
Landes zu sein.